Karl-Heinz Lieckfeldt
gestorben am 30.09.2012
in Butzow
Am 30. September 2012 wurde der 59-jährige Karl-Heinz Lieckfeldt in Butzow von einem Freund seiner Tochter getötet. Der Täter gehörte der rechten Szene an. Er übte politisch motivierte Selbstjustiz – die Tochter vermutete, als Kind von Karl-Heinz Lieckfeldt missbraucht worden zu sein.
Karl-Heinz Lieckfeldt lebte zu dieser Zeit allein und zurückgezogen in seinem Haus in Butzow, einem kleinen Ort südwestlich von Anklam im Landkreis Vorpommern-Greifswald. Er pflegte nur noch wenig Kontakte und war auf die Versorgung durch einen Pflegedienst angewiesen.
Anfang der 1990er Jahre war der gelernte Elektriker mit seiner Frau und zwei Kindern in das Haus in Butzow gezogen. Er war handwerklich begabt, das Haus bot viel Platz für die Familie und hatte einen großen Garten. Mit den Jahren entwickelte sich bei Karl-Heinz Lieckfeldt eine Alkoholabhängigkeit. In deren Folge übte er auch Gewalt innerhalb der Familie aus und es kam zu häufigen Streits. 1996 verließ ihn seine Frau mit beiden Kindern. Auch eine weitere Beziehung zerbrach am Alkohol und dessen Folgen, berichtet der Sohn der lokalen Presse12013 – Nordkurier – Butzower Mord: Der Sohn sucht seinen Seelenfrieden. Im Alter von 16 Jahren brach Karl-Heinz Lieckfeldts Tochter mit ihm, indem sie ihm einen Hassbrief schrieb. 2012 war sie 23 Jahre alt. Sie vermutete, von ihrem Vater in der Kindheit missbraucht worden zu sein. Dies ließ sie auch in Gesprächen mit ihrem besten Freund Max L. anklingen, dem sie immer wieder von ihrem Vater und ihren Gefühlen erzählte. Bekannte von Max L. und Karl-Heinz Lieckfeldts Tochter und auch sie selbst beschrieben ihre Freundschaft als Bruder-Schwester-Verhältnis. Max L. war 2012 Teil der rechten Szene in Anklam und zeigte seine menschenverachtende Einstellung auf Shirts und in Sozialen Netzwerken. Dabei richtete er sich unter anderem gegen Sexualstraftäter.
Die Tat
In Reaktion auf das, was ihm seine Freundin erzählt hat, fasst Max L. den Entschluss, Karl-Heinz Lieckfeldt »zur Rede zu stellen« und ihm einen »Denkzettel« zu verpassen. Laut seinem späteren Geständnis will er »die Sache klären«. Der 28-Jährige reist dafür am 30. September 2012 mit dem Zug von seiner Arbeitsstelle in Süddeutschland nach Züssow, unweit von Anklam. Zuvor hat er sich verstärkte Handschuhe und Stahlkappenschuhe besorgt. Karl-Heinz Lieckfeldts Tochter holt ihn am Bahnhof ab und sie fahren gemeinsam nach Butzow. Max L. steigt über das Tor zum Grundstück von Karl-Heinz Lieckfeldt, der ihm die Tür öffnet. Die 23-Jährige parkt in der Nähe.
Später berichtet Max L. vor Gericht davon, dass er Karl-Heinz Lieckfeldt direkt nach Betreten des Hauses mit den Vorwürfen seiner Tochter konfrontiert habe. Dann habe es eine Rangelei gegeben. Nach mehreren Schlägen bricht Karl-Heinz Lieckfeldt zusammen. Als er zu Boden geht, traktiert Max L. ihn weiter und tritt mit den schweren, verstärkten Schuhen auf ihn ein, bis Karl-Heinz Lieckfeldt irgendwann nicht mehr bei Bewusstsein zu sein scheint.
Laut ihrer späteren Aussage wartet die junge Frau in der Zeit im Auto, bis Max L. aus dem Haus kommt und sie fragt, ob sie ihren Vater noch mal sehen möchte. Sie verneint. Er geht zurück und ersticht Karl-Heinz Lieckfeldt mit einem Küchenmesser.
Am Tag darauf findet die Pflegedienstmitarbeiterin Karl-Heinz Lieckfeldt tot auf dem Boden mit dem Messer in der Brust.
Später Ermittlungserfolg und Prozess
Erst knapp fünf Monate später ermittelte die Polizei Max L. als Tatverdächtigen und konnte ihn in Ravensburg am Bodensee festnehmen. Er legte ein ausführliches Geständnis ab. Karl-Heinz Lieckfeldts Tochter war zu diesem Zeitpunkt ebenfalls schon im Visier der Ermittler:innen.
Im folgenden Gerichtsprozess, der im August 2013 vor dem Stralsunder Landgericht begann, ging es viel um die Frage, welchen Anteil seine Tochter an Karl-Heinz Lieckfeldts Tod hatte – inwieweit sie hätte eingreifen können und inwieweit sie Max L. zur Tat ermutigte.
Thematisiert wurde auch, welche Rolle dessen rechte Gesinnung spielte. Eine der ermittelnden Polizeibeamt:innen sagte aus, dass in den Vernehmungen deutlich wurde, dass Max L. die Auffassung vertrat, Sexualstraftäter verdienten den Tod und dass ihn seine politische Einstellung in seinem Handeln motivierte. Doch auch Rache für seine Freundin war als Teil des Motivs im Gespräch. So argumentierte vor allem die Verteidigung, die das rechte Motiv in ihrem Schlussplädoyer verharmloste: Max L. hätte aus altruistischen Motiven gehandelt, und die Forderung »Todesstrafe für Kinderschänder« wäre gängige Meinung, die nichts mit rechter Gesinnung zu tun hätte.
Das Landgericht Stralsund verurteilte Max L. letztlich im November 2013 zu elf Jahren Haft wegen Totschlags. Niedere Beweggründe wie Rache oder die Absicht, die vorangegangene Körperverletzung zu verdecken, hätten sich nicht eindeutig beweisen lassen.
Eine von der Staatsanwaltschaft geforderte Revision wurde abgelehnt – die Behörde hatte auf Mord plädiert. Die Tochter Karl-Heinz Lieckfeldts, die zunächst wegen Beihilfe zur Körperverletzung und Totschlags durch Unterlassen zu fünfeinhalb Jahren Haft verurteilt wurde, hatte mit ihrem Revisionsantrag mehr Erfolg: Sie wurde im Januar 2015 abschließend zu vier Jahren Haft verurteilt, da der Vorwurf der Beihilfe zur Körperverletzung zuvor vom Bundesgerichtshof kassiert wurde.
Karl-Heinz Lieckfeldt ist von staatlicher Seite als Todesopfer rechter Gewalt anerkannt. Die Öffentlichkeit erfuhr davon nur durch eine Anfrage der Grünen-Bundestagsfraktion, aus der hervorging, dass das Innenministerium Mecklenburg-Vorpommerns den Fall im Dezember 2014 an das Bundeskriminalamt nachmeldete. Eine Begründung dafür liegt nicht vor. Dies ist jedoch mit Blick auf andere Fälle vorgeblicher rechter Selbstjustiz, wie beispielsweise den Mord an Boris Morawetz 1996 in Wolgast – der bis heute nicht staatlich als rechte Gewalttat anerkannt ist – von besonderem Interesse.