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KEIN VERGESSEN.

TODESOPFER RECHTER GEWALT IN M-V

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Horst Diedrich

angegriffen am 22.12.1996
in Greifswald

Horst Diedrich wurde am 22. Dezember 1996 in Greifswald von drei Jugendlichen mit rechter Gesinnung brutal misshandelt, gedemütigt und verletzt bei Minusgraden in einem Abrisshaus zurückgelassen. Er wurde am 1. Januar 1997 tot aufgefunden.
Hans-Joachim M., der wenige Tage zuvor von derselben Clique brutal überfallen wurde, überlebte die Tat dank der Hilfe eines Zeugen und ist seitdem wegen einer dauerhaften psychischen Beeinträchtigung auf Hilfe angewiesen.

Horst Diedrich wurde am 25. April 1939 in Karrendorf bei Greifswald geboren. Er besuchte die Schule bis zur achten Klasse und arbeitete als Kraftfahrer. Aus seiner ersten Ehe hatte er drei Kinder. Die Ehe wurde jedoch geschieden, woraufhin er verstärkt Alkohol trank.
Zur selben Zeit begann er auch, immer offener seine Aversion gegen den Staat zu äußern. Im April 1973 wird er erstmals wegen Staatsverleumdung verurteilt. In der DDR konnten unter dem §220 Menschen mit einer Haftstrafe von bis zu zwei Jahren belegt werden, die sich öffentlich verächtlich über staatliche Funktionäre oder Institutionen äußerten. Horst Diedrich saß seine achtmonatige Haftstrafe bis zum Januar 1974 in Greifswald ab und bezog anschließend ein Zimmer in der Domstraße 25, wo er vermutlich von 1979 bis 1988 direkter Nachbar von Eckhard Rütz war. Die kleinen, schlecht ausgestatteten Zimmer in unmittelbarer Nähe zum Gefängnis der Staatssicherheit wurden damals vor allem ehemaligen Strafgefangenen zugewiesen.
Nach der Haftentlassung wurden Horst Diedrich mehrere Arbeitsstellen zugewiesen, aus denen er jeweils nach kürzester Zeit entlassen wurde. Da er dadurch einer kurzen Zeit keiner geregelten Arbeit nachging wurde er im April 1975 von der »Abteilung Inneres« als »kriminell gefährdeter Bürger« eingestuft. Kurze Zeit später ereilen ihn zwei weitere Verurteilungen wegen Beleidigung und Staatsverleumdung, weswegen er ab April 1975 bis Januar 1977 erneut inhaftiert war.
Nach seiner Entlassung arbeitete Horst Diedrich in verschiedenen Jobs, jedoch nie lange. Er war Wergzeugausgeber im VEB Nachrichtenelektronik, Sargfertiger im VEB Gartengestaltung und Gruftarbeiter auf dem neuen Friedhof in Greifswald. Immer wieder wird seine Biographie unterbrochen durch politische Verurteilungen wegen Staatsverleumdung oder Geheimnisverrat, wobei der Grund für letzteres ungeklärt ist.
Im April 1985 stellt Horst Diedrich schlussendlich einen Ausreiseantrag, verweigert sich gänzlich einer – in der DDR für jede:n vorgesehenen – geregelten Arbeit nachzugehen und bestreitet seinen Lebensunterhalt folgend mit dem Sammeln von Sekundärrohstoffen. Dies hat eine erneute Erfassung als »kriminell gefährdeter Bürger« durch die »Abteilung Inneres« zur Folge. Dem erneuten Absitzen langer Haftstrafen umgeht er 1987 und 1989 durch jeweilige Generalamnestien, die auch politische Gefangene umfassten.
Die sogenannte Wende erlebt er somit in Freiheit, merkt jedoch schnell, dass sie erhofften gesellschaftlichen Änderungen ausbleiben. Einer Betreuerin sagte er später, dass er mit dem System der Kommunisten nie ganz einverstanden war. Die Wandlung nach der Wiedervereinigung empfand er jedoch als noch schlimmer. Im Jahr 1991 kam Horst Diedrich vorerst bei seiner Schwester in der Wollweberstraße in Greifswald unter, ehe er 1994 eine eigene Wohnung in der Arndtstraße bezog. Diese Wohnung wurde jedoch bereits kurze Zeit später zwangsgeräumt, weswegen er ab Sommer 1995 im Obdachlosenheim in Eldena unterkam. Spätestens ab Dezember 1995 schlief Horst Diedrich auf der Straße, auch damals schon in Abrisshäusern in der Wolgaster Straße. Im November 1996, ein Monat vor seinem Tod, hatte er die Möglichkeit, über das Sozialamt eine Wohnung in der Gützkower Straße zu zu beziehen. Kurz vor dem Einzug teilte er seiner Betreuerin jedoch mit, dass er das Angebot ablehne. Er sei »natürlich obdachlos und möchte es bleiben«.
Er verbrachte den Winter in einem Abrisshaus in der Wolgaster Straße 118. Die eingeschossige Baracke war bis 1990 eine Verkaufsstelle der HO – der staatlichen Einzelhandelskette für Lebensmittel und Haushaltswaren in der DDR – und gehörte bis 2009 der Hansestadt Greifswald. Wie lange er insgesamt dort wohnte, ist nicht bekannt. Doch auch in der Vorweihnachtszeit 1996 hatte sich Horst Diedrich hier mit einer Matratze sein Nachtlager zurechtgemacht. In einer Schüssel hatte er sich Wasser geholt, wahrscheinlich zum Waschen. Vielleicht von hilfsbereiten Nachbarn oder einem funktionierenden Wasserhahn in der Nähe. Das leerstehende Haus war nicht beheizt, auf dem Wasser in der Schüssel hatte sich schon eine kleine Eisschicht gebildet.

Die Tat

Zur gleichen Zeit beginnt eine Clique Jugendlicher einen brutalen Streifzug. Am 18. Dezember 1996 treffen sich fünf Jugendliche am Greifswalder Bahnhof zum Rumhängen und Alkohol Trinken. Trinkfest scheinen alle zu sein, einige von ihnen haben bereits mit 12 mit dem Alkohol angefangen. Im Laufe des Abends hetzen sie gegen sogenannte »Assis«, worunter sie Obdachlose, Alkoholiker:innen und Sozialhilfeempfänger:innen verstehen. Die Gruppe entschließ sich, zusammen so einen »Assi« zu suchen, um ihn zusammenzuschlagen und etwas Geld zu rauben. Das »Abziehen« ist nichts Neues für sie. Die Jugendlichen haben teilweise schon verschiedene Vorstrafen wegen Raub, gefährlicher gemeinschaftlicher Körperverletzung, Einbruch und Sachbeschädigung gesammelt. Einer von ihnen wurde ein halbes Jahr zuvor wegen Volksverhetzung und Verwendung von NS-Symbolen zu Arbeitsstunden verurteilt.

Ein Jugendlicher schlägt vor, zu Hans-Joachim M. zu gehen, wobei schon im Vorfeld klar war, dass »im Vordergrund stand, ihn zu misshandeln«, wie es später vor Gericht heißt. Über die Hoftür brechen die fünf in M.s Wohnung ein. Schlagen und treten sofort abwechselnd auf den im Bett liegenden M. ein, fordern Geld und durchsuchten die Wohnung. Als sie kein Geld finden, verlassen sie die Wohnung wieder. Einer der Jugendlichen geht nach Hause.

Nach einiger Zeit entschließen sich die vier Verbliebenen, ein neues Opfer zu suchen. Offenbar wissen sie, dass Horst Diedrich in dem Abrisshaus in der Wolgaster Straße 118 sein Quartier hat. Als die vier den stark alkoholisierten 57-Jährigen erblicken, schlagen und treten sie sofort mit Füßen, einer Zaunlatte und einem Messer auf ihn ein. Sie fordern Geld und durchsuchen die Räume und die Kleidung des wehrlosen Mannes. Bevor sie den Ort schließlich verlassen, kippen sie eisiges Wasser auf den blutend am Boden liegenden Horst Diedrich und lassen ihn hilflos zurück.

Vier Tage später, am 22. Dezember 1996 treffen sich zwei der jugendlichen Schläger, 15 und 14 Jahre alt, mit einem weiteren, unbekannt gebliebenen Täter, gehen abermals zu Horst Diedrichs Nachtlager und malträtieren den 57-Jährigen erneut. Sie schlagen ihn mit einer Zaunlatte und treten mehrmals auf ihn ein. Erneut kippen sie, wie in einem demütigenden Ritual, eiskaltes Wasser über ihm aus. Aus Angst gibt er ihnen ein Zehn-Mark-Schein, den er noch in der Hosentasche hat.

Die drei Schläger gehen zurück zum Marktplatz und teilen das Geld auf. Nach einiger Zeit kehren sie noch einmal zu Horst Diedrich zurück. Obwohl sie sehen, dass er nicht mehr alleine gehen kann, ziehen sie ihn in einen Nebenraum und mishandeln ihn, bis er bewusstlos liegen bleibt. Bei Minusgraden lassen sie Horst Diedrich zwei Tage vor Weihnachten in dem Abrisshaus zurück.

Am nächsten Tag treffen sich die beiden 15 Uhr am Fischmarkt erneut, um gemeinsam mit einem 16 Jährigen Freund ihr erstes Opfer, Hans-Joachim M., abermals aufzusuchen. Sie fordern Geld, schlagen und treten auf M. ein. Sie greifen ihn mit einer Stehlampe an und er erleidet 38 Stichverletzungen durch ein Messer. Hans-Joachim M. überlebt die Tat nur, weil ein Zeuge schnell Hilfe holt. Die schweren Misshandlungen, insbesondere die Schläge und Tritte gegen den Kopf verursachen bei ihm in der Folge jedoch einen irreparablen Hirnschaden, wodurch er zu einem selbstständigen Leben in der eigenen Wohnung nicht mehr fähig ist.

Ermittlungen und Gerichtsprozess

Die drei jugendlichen Schläger können noch am selben Tag identifiziert und festgenommen werden.

Am Neujahrstag 1997 wurde Horst Diedrich tot in dem Haus Wolgaster Straße 118 gefunden. Zunächst ging die Polizei davon aus, dass er erfroren sei. Erst die Gerichtsmedizin stellte schließlich die zahlreichen Verletzungen fest. Ob die Misshandlungen oder das hilflose Zurücklassen und die daraus folgende Unterkühlung zum Tod Horst Diedrichs geführt haben, konnte nicht geklärt werden. Erst am 24. Januar wurde bekannt, dass zwei weitere 14- und 15-Jährige Täter ermittelt werden konnten, die an den Gewalttaten gegen Horst Diedrich und Hans-Joachim M. beteiligt waren.

Der Hauptprozess gegen drei der Heranwachsenden begann im September 1997 vor dem Landgericht Stralsund. In den zehn Verhandlungstagen ging es zu großen Teilen um die Feststellung beziehungsweise den Ausschluss einer Tötungsabsicht. Das Gericht beschreibt in seinem Urteil, dass die Täter sich »mit kaum zu überbietender Rücksichtslosigkeit und Brutalität über die körperliche Integrität eines ihm völlig unbekannten und kaum wehrfähigen Menschen hinweggesetzt [haben], um in den Besitz von Bargeld zu gelangen.« Strafschärfend wirkte sich die »äußerst brutale Vorgehensweise gegen praktisch wehrlose sozial schwache Personen« aus.

Auffällig oft wird die Annahme betont, dass Raub die zugrundeliegende Motivation der Angriffe war – auch wenn das Gericht feststellt, dass den Tätern klar war, dass bei den Betroffenen kaum bzw. sehr wenig Geld zu erwarten gewesen ist. Die Tat wird vom Gericht zwar als brutal und menschenverachtend verurteilt, der explizit sozialdarwinistische Charakter, den die Tat durch die Opferauswahl, die abwertenden Äußerungen gegen Wohnungslose und Sozialhilfeempfänger, sowie durch den nachgewiesenen rechten Hintergrund einzelner Täter hat, wird vom Gericht nicht erwähnt.

Die beiden Jugendlichen, die Horst Diedrich zuletzt am 22. Dezember Überfallen haben, werden in Verbindung mit ihrer Beteiligung an den vorangegangen Überfällen auf Diedrich und die Attacken auf Hans-Joachim M. wegen (schwerer) räuberischer Erpressung und schwerer bzw. gefährlicher Körperverletzung zu einer Jugendstrafe von fünfeinhalb Jahren, beziehungsweise vier Jahren verurteilt. Der dritte Angeklagte wird wegen seiner Beteiligung an dem brutalen Angriff auf Hans-Joachim M. zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren auf Bewährung verurteilt. Da nicht zweifelsfrei nachgewiesen werden konnte, dass Horst Diedrich an den unmittelbaren Folgen der Gewalttat starb, wurde eine Verurteilung wegen eines Tötungsdeliktes ausgeschlossen.

Horst Diedrich ist von staatlicher Seite nicht als Todesopfer rechter Gewalt anerkannt.

Quellen
  • 1997 – Ostsee-Zeitung – Toter Obdachloser vermutlich umgebracht
  • 1997 – Ostsee-Zeitung – Verbrechen im Abrißhaus
  • 1997 – taz – Obdachloser bei Überfall erschlagen
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Oussame
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