Horst Genz
gestorben am 22.04.1997
in Sassnitz
Der Sassnitzer Horst Genz wurde am 22. April 1997 von vier jungen Männern auf Rügen entführt, misshandelt und ermordet. Die Täter gaben an, aus sozialdarwinistischen Motiven gehandelt zu haben. Horst Genz wurde 50 Jahre alt.
Horst Genz wurde am 9. Februar 1947 in Bergen auf Rügen geboren und wuchs mit seiner Schwester auf der Ostsee-Insel auf. Er machte nach der Schule keine Ausbildung und arbeitete als Straßenbauer. Aus seiner ersten Ehe ging ein gemeinsamer Sohn hervor. Die Ehe wurde im Mai 1977 geschieden.
Mit seiner neuen Partnerin bekam Horst Genz im November 1977 eine Tochter. Das Paar heiratete, jedoch ging auch seine zweite Ehe nach sechs Jahren in die Brüche. Nach der Scheidung bekam seine Ex-Frau im April 1983 noch einen gemeinsamen Sohn.
Ende der 80er Jahre hat Horst Genz in Sassnitz in einer Kohlenhandlung als Fahrer gearbeitet. Als diese harte körperliche Arbeit mit der zunehmenden Verbreitung von Zentralheizungen immer weniger gebraucht wurde, wurde Horst Genz arbeitslos. Er galt als alkoholabhängig und lebte allein in einer Ein-Zimmer-Wohnung in einem Wohnblock im Sassnitzer Birkenweg, wo er oft Bekannte zu Besuch hatte. Mit ihnen redete, trank, stritt und amüsierte er sich. Teilweise führte die Lautstärke der Feiern zu Konflikten mit den Nachbarn.
Die Tat
Am 22. April 1997 ist Horst Genz bei einem Bekannten in Sassnitz zu Besuch, um ihm beim Holz sägen zu helfen. In einer kurzen Pause geht er zu einer Tankstelle an der Bundesstraße 96, um Zigaretten zu holen.
Horst Genz ist leicht angetrunken und trifft dort auf vier junge Männer, die – so sagen sie später – »nach Assis Ausschau hielten«11997 – Ostsee-Zeitung – Grausame Taten versetzen Rügen in Angst. Unter dem Vorwand, ihn nach Hause zu fahren, nehmen sie Horst Genz mit in ihr Auto. Da seine Wohnung nur 15 Minuten zu Fuß entfernt liegt, ist jedoch auch denkbar, dass sie ihn gegen seinen Willen in das Auto zerren. Sie rauben ihn aus, erbeuten 5,30 Mark, schlagen brutal auf Horst Genz ein und planen, ihn von der Klippe des 50 Meter hohen Kreidefelsens Königsstuhl zu werfen. Als sie dort ankommen, verwerfen sie ihren Plan, weil zwei Förster vor Ort sind. Stattdessen fahren sie in den Süden der Insel und beschließen, ihr hilfloses Opfer vom Rügendamm zu werfen. Als Horst Genz sich wider Erwarten wehrt und ins Lenkrad greift, schlagen sie abermals auf ihn ein und werfen ihn auf der B96 zwischen Rambin und Altefähr aus dem Auto in einen Straßengraben. Die jungen Männer fahren weiter bis ins nahegelegene Stralsund. Dort geraten sie in eine Polizeikontrolle, aber die Beamten stellen nichts ungewöhnliches fest. Alle Papiere sind in Ordnung. Auf der Rückfahrt nach Sassnitz nehmen sie die gleiche Route. Dabei sehen sie, dass ihr Opfer noch lebt und durch Winken versucht, Autofahrer:innen auf sich aufmerksam zu machen. Sie beschließen »Halt an, der muss ganz weg«21997 – Schweriner Volkszeitung – Eiskalter, brutaler Mord aus reiner Langeweile und erschlagen Horst Genz mit einem 30 Kilogramm schweren Feldstein. Zurück in Sassnitz feiern sie ihren Überfall mit einem Kasten Bier und rühmen sich mit der Tat vor einem Jugendlichen.3Ebd. Dieser zeigt die Täter letztlich an.
Weitere Taten
Neben Horst Genz gab es am vorherigen Abend einen weiteren Betroffenen, der einen ähnlichen Überfall durch dieselbe Gruppe nur knapp überlebte. Der Abend der Täter hatte in der Binzer Bierhalle begonnen. Auch hier fasste die Gruppe den Entschluss »Assis aufklatschen«41997 – Ostsee-Zeitung – Grausame Taten versetzen Rügen in Angst zu wollen. Vor dem »Zisch« Kiosk im Ostseebad Binz sehen die jungen Männer den 37-jährigen arbeitslosen Fliesenleger Hans S. Er ist offensichtlich angetrunken. Sie zerren ihn in ihr Auto um ihn – gemäß ihrer späteren Aussagen – auszurauben. Als sie in seiner Geldbörse nur zwei Mark finden, beschließen sie ihn zu töten, angeblich um eine Anzeige zu verhindern. Auf einem nur wenige Kilometer entfernten, dunklen, abgeschiedenen Parkplatz beim Jagdschloss Granitz schlagen sie ihn mit einem Schlagstock schwer zusammen und schießen ihm mit einer Schreckschusspistole und einem Luftgewehr ins Gesicht. Zuletzt überfahren sie ihr bewusstloses Opfer mit dem Auto und lassen ihn in der Annahme zurück, ihn getötet zu haben. Wie durch ein Wunder überlebt der Betroffene schwer verletzt und wird am nächsten Morgen von einem Busfahrer entdeckt und ins Krankenhaus gebracht. Er trägt zahlreiche Verletzungen davon und verliert ein Auge.
Ein weiterer Zeuge, der zwei Wochen zuvor von der selben Gruppe krankenhausreif geschlagen wurde, meldete sich später bei der Polizei.
Die fehlende Aufarbeitung
Am 27. April 1997 konnten fünf Jugendliche zwischen 18 und 20 Jahren festgenommen werden, die als tatverdächtig für den Überfall auf Hans S. in Binz galten. Unter ihnen die vier Mörder von Horst Genz, Alexander H. (18), Michael K. (18), Enrico Z. (20) und Bernd M. (19). Die Polizei hatte zunächst angenommen, Horst Genz wäre Opfer eines Autounfalls mit Fahrerflucht gewesen.
Ihre Motive kommentieren die Täter in den anschließenden Vernehmungen gegenüber der Staatsanwaltschaft Stralsund flapsig: »Wir hatten einfach Langeweile, und es hat halt einfach Spaß gemacht, wegen Geld haben wir das jedenfalls nicht getan«51997 – Ostsee-Zeitung – Grausame Taten versetzen Rügen in Angst, sie hätten »Assis klatschen« wollen.
Das Landgericht Stralsund verurteilte im November 1997 zwei der jungen Männer wegen Mordes an Horst Genz und gemeinschaftlicher schwerer Körperverletzung an Hans S. zu einer Höchststrafe von zehn Jahren. Zwei weitere Täter wurden zu neun, beziehungsweise sechs Jahren Haft verurteilt. Marcel P., ein Maurerlehrling aus Putbus, war nur an dem Überfall in Binz beteiligt und erhielt eine einjährige Bewährungsstrafe. Für alle Täter kam das Jugendstrafrecht zur Anwendung, weil ihnen das Gericht einen »verminderten sozialen Entwicklungsstand« zuschrieb. Die Schwester von Horst Genz verfolgte den Gerichtsprozess im Publikum. Während der Schilderung der Tat verbarg sie ihr Gesicht hinter ihren Händen.
Eine politische Motivation der Tat wurde vor Gericht nicht gesondert diskutiert. Auch in der Öffentlichkeit wurde den Tätern eine allgemein menschenverachtende Einstellung zugeschrieben und ihr Handeln in Kontext mit einer angeblich allgemein zunehmenden Jugendgewalt gesetzt. Die Zeitungen schrieben reißerisch von den »Rügen-Räubern« oder »Killer-Kids«. Die »SuperIllu« titelte »Tatort Rügen: Schock im Urlaubsparadies« und schrieb: »Auf der Urlaubsinsel möchte man die Verbrechen am liebsten unter den Tisch kehren – schließlich steht die Sommersaison vvor der Tür.« In den Artikeln kommen Menschen zu Wort, die aufgrund der Taten Angst um ihren Job in der Tourismusbranche haben. An Aufarbeitung schien tatsächlich niemand interessiert.
In einer Diskussionsveranstaltung zum Thema Jugendgewalt in Sassnitz im Jahr 1998 äußern sich die Diskutant:innen zwar ganz allgemein besorgt über jugendliche Gewalttäter, »oftmals sogar im Zusammenspiel mit Vertretern der rechten Szene«. Doch vor allem härtere Strafen werden als mögliche Lösungen genannt. Eine politische Auseinandersetzung mit möglichen politischen Hintergründen und gesellschaftlichen Interventionsmöglichkeiten wird jedoch nicht gesucht. »Auf gesellschaftliche Veränderungen zu hoffen [ist] illusorisch«, so der Moderator resigniert, »Motive und soziale Hintergründe interessieren [ihn] nicht.«.61998 – Ostsee-Zeitung – Von der Pflicht, sich anständig zu benehmen
Ein Jahr nach dem Mord trifft eine Reporterin der taz in der Justizvollzugsanstalt Neustrelitz auf Enrico Z., einen der Haupttäter. Während der Artikel vor allem die desolaten Zustände und die rassistischen und homofeindlichen Einstellungen der Anstaltswärter zum Thema hat, beschreibt er auch das Umfeld von Enrico Z. In seiner Clique von Alpha-Gefangenen fühle er sich wohl, zusammen demütigen sie andere Mitgefangene mit sexuellen Übergriffen. Seinem Mitgefangen stimmt er zu, wenn dieser sagt »Bereuen ist nicht«. »Bloß nicht vom Psychologen zuquatschen lassen.« ergänzt Enrico Z. Als Gefangenensprecher ist er der Boss im Haus 1.71998 – taz – „Wenn was dazwischenkommt“ Weder akzeptierende Sozialarbeit noch das Gefängnis haben ihn dazu veranlasst, seine Einstellung zu ändern, heißt es damals.
Die fehlende Anerkennung
Durch die mangelnde Auseinandersetzung mit der politischen Dimension der Tat, wurde Horst Genz auch nicht als Todesopfer rechter Gewalt anerkannt. Eine Überprüfung von Altfällen durch die Landespolizei nach der Selbstenttarnung des sogenannten »Nationalsozialistischen Untergrunds« (NSU) im Jahr 2013 ergab zwar, dass bei dem Mord an Horst Genz das Opfermerkmal »Gesellschaftlicher Status« vorliegt, eine politische Motivation könne „jedoch nicht erkannt werden“82014 – SVZ – Mehr rechtsextreme Taten im Land als gedacht. Der Abgeordnete Jürgen Suhr (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) entgegnet in einer Debatte des Landtags, »dass es sehr wohl ein ernst zu nehmender Hinweis auf eine rechtsextremistisch motivierte Straftat ist, wenn die Täter, wie im Fall des Mordes an Horst G. am 22. April 1997 in Sassnitz gegenüber der Staatsanwaltschaft äußerten, sie wollten, Zitat, »Assis klatschen«95.8.2013 – Landtag MV – Drucksache 6/2077 – https://www.dokumentation.landtag-mv.de/parldok/dokument/33524/ueberpruefung_von_toetungsdelikten_mit_moeglichem_rechtsextremem_hintergrund.pdf.. Der Landtagsabgeordnete und Innenpolititker Peter Ritter warnte damals, dass Land dürfe nicht »zu einem Kartell der Verharmloser« gehören1030.5.2013 – Landtag MV – https://www.landtag-mv.de/fileadmin/media/Dokumente/Parlamentsdokumente/Plenarprotokolle/6_Wahlperiode/PlPr06-0043.pdf.. Einer tiefergehenden Überprüfung durch unabhängige Akteur:innen hat sich das Bundesland bisher verweigert. Der Mord an Horst Genz ist nach wie vor nicht als rechte Gewalttat anerkannt.
An der Bundesstraße 96 zwischen Rambin und Altefähr, die jeden Sommer tausende Tourist:innen auf die Urlaubsinsel leitet, gibt es keinen Gedenkstein, kein Kreuz und auch sonst nichts, was an Horst Genz erinnert. Auch in Sassnitz, Horst Genz‘ Heimatstadt, gibt es keinen Gedenkort. Zum 25. Todestag im Jahr 2022 gab es zum ersten Mal eine Gedenkveranstaltung an dem Ort, wo einst Horst Genz Wohnhaus stand. Auch am Tatort wurde an dem Tag auf die Tat aufmerksam gemacht und in Gedenken an Horst Genz ein Holzkreuz installiert.