Horst Meyer
gestorben am 17.09.1997
in Anklam
Horst Meyer wurde am 17. September 1997 in Anklam von einer Gruppe Jugendlicher aus sozialdarwinistischen Motiven brutal zusammengeschlagen und getötet – er war 61 Jahre alt. Mindestens einer der Täter gehörte der lokalen Neonaziszene an.
Horst Meyer war Vater einer Tochter und gelernter Maurer. Er lebte alleine in einem Wohnblock in der Anklamer Südstadt. Nach der Wiedervereinigung war er immer wieder ohne Arbeit. Alkohol nahm in seinem Leben eine immer größer werdende Rolle ein – eine Situation, in der sich in seinem persönlichen Umfeld viele Menschen wiederfinden.
Die Tat
Am Abend des 17. September 1997 liegt Horst Meyer stark alkoholisiert auf einem Plattenweg unweit seines Wohnhauses, als der 18-jährige Steffen S. und zwei andere Jugendliche im Alter von 15 und 16 Jahren auf ihn aufmerksam werden. Sie haben über den Abend mit Freunden Alkohol getrunken und sind gerade auf dem Weg zu einer nahegelegenen Tankstelle, um Nachschub zu holen. Zumindest Steffen S. ist nach seiner Selbstbezeichnung »rechts« und verbringt seine Zeit häufig mit den rechten Skinheads auf dem Anklamer Marktplatz.
Die Jugendlichen gehen auf Horst Meyer zu und helfen ihm zunächst auf die Beine, verlangen dafür jedoch zehn Mark von ihm. Da Horst Meyer sie nicht bezahlen kann, beginnen sie, auf ihn einzuprügeln und treten mehrmals mit ihren stahlkappenbesetzten Springerstiefeln auf ihn ein. Irgendwann lassen sie von ihm ab und ziehen sich vorübergehend in die elterliche Wohnung von Steffen S. zurück. Dort trinken sie weiter, bis Steffen S. sagt: »Den machen wir jetzt richtig tot.« In der polizeilichen Vernehmung wird er später angeben, dass sie den Tatentschluss fassten, um mögliche belastende Aussagen ihres Opfers zu verhindern.
Die drei Täter kehren zu dem Ort zurück, an dem sie Horst Meyer schwer verletzt liegen gelassen haben. Sie treten erneut mit einer derartigen Brutalität auf ihn ein, dass die Gerichtsmedizin im späteren Obduktionsbericht als Todesursachenur noch die »Gesamtheit der ihm zugefügten Misshandlungen« feststellen kann.
Ermittlungen und Gerichtsprozess
Nach Hinweisen aus der Bevölkerung wurden die drei jugendlichen Täter drei Tage nach der Tat festgenommen und von der Staatsanwaltschaft Stralsund wegen Mordes angeklagt. Den 15-Jährigen sah die Staatsanwaltschaft als Mitläufer, der zudem in Folge der Tat glaubwürdig unter Alpträumen leide, weshalb sie ihn zeitnah aus der Untersuchungshaft entließ.
Der Prozess startete im April 1998 vor dem Landgericht Stralsund. Da das Gericht nach vier Verhandlungstagen nicht zweifelsfrei belegen konnte, dass Horst Meyer noch am Leben war, als die Täter mit ihrem Mordentschluss zum Tatort zurückkehrten, verurteilte es Steffen S. und den 16-Jährigen wegen Totschlags und versuchten Mordes nach Jugendstrafrecht zu sieben beziehungsweise sechseinhalb Jahren Freiheitsentzug. Der 15-Jährige wurde wegen versuchten Totschlags lediglich zu einer Bewährungsstrafe verurteilt.
Die Presse berichtet damals kaum über einen möglichen, sozialdarwinistischen Hintergrund. Die Zugehörigkeit von Steffen S. zur örtlichen Naziskin-Szene wird nur in einem Beitrag von Spiegel TV dargestellt. Außerdem äußerte sich der zuständige Staatsanwalt Dirk Schneider-Brinkert darin: »Es ist so, dass wir eine ähnliche Begehungsweise festgestellt haben. Dass die Täter also sich bei den Opfern um Personen gekümmert haben – in Anführungsstrichen gekümmert haben – die eher zu einer Gegenwehr nicht fähig sind, die entweder zum Obdachlosenmilieu gehören oder aber zu dem Tatzeitpunkt dem Alkohol in erheblicher Weise zugesprochen hatten. Darüber hinaus ist es so gewesen, dass die Art der körperlichen Misshandlung gezeichnet war von einer sehr großen und sehr erheblichen Brutalität.«11997 – SpiegelTV – Brutaler Mord in Anklam Im Gerichtsprozess und auch in der weiteren Berichterstattung wurde dem keine Aufmerksamkeit mehr geschenkt, im Gegenteil kommentierte ein psychologischer Sachverständiger, »dass es statt des menschlichen Opfers auch eine Laterne oder ein Auto hätte sein können.«
Nachgang
Die Ostsee-Zeitung kommentierte den Tod Horst Meyers kurz nach der Tat als »eine Nachricht, die zumindest im näheren Umkreis des Opfers noch Betroffenheit auslöst. Aber je mehr sich solche Verbrechen häufen, um so mehr werden sie zum ‚normalen‘ Bestandteil des Lebens, erwecken sie kaum noch besondere Emotionen. Abstumpfung macht sich breit.«223. September 1997 – Ostsee-Zeitung – Die Tat von Anklam – Erschreckend Die mediale Debatte drehte sich zumeist weniger um die Opfer der Gewalt, als um die jugendlichen Täter, ihre vermeintliche Perspektivlosigkeit und Gefühlskälte. Rechtsmediziner berichten von einer wahren Welle brutalster, den Tod der Opfer in Kauf nehmender oder gar beabsichtigender Gewalt. Weiter kommentiert die lokale Presse damals: »Wenn der Totschlag so alltäglich wird wie ein Einkaufsbummel, dann ist – gelinde gesagt – irgendetwas nicht gesund im gesellschaftlichen Klima”.3Ebenda
Horst Meyer ist bis heute nicht von der Bundesregierung als Todesopfer rechter Gewalt anerkannt. Sein Tod wird erstmals 2020 in den Recherchen zu dieser Webseite wieder thematisiert. In Anklam erinnert heute nichts an die Tat. Umso wichtiger ist es, die Geschichte von Horst Meyer vor dem Vergessen zu bewahren.