Mohamed Belhadj
gestorben am 22.04.2001
in Zarrenthin
Mohamed Belhadj wurde in der Nacht vom 21. April auf den 22. April von vier Männern nach einer stundenlangen Tortur getötet. Obwohl die Täter sich nach der Tat rassistisch äußerten und rassistische Motive ihr Handeln mindestens befördert haben, ist Mohamed Belhadj bis heute nicht als Todesopfer rechter Gewalt anerkannt.
Mohamed Belhadj wurde am 19. April 1970 in Oran, Algerien, geboren und kam 1992 auf der Suche nach Asyl nach Deutschland. Der 31-Jährige lebte zum Zeitpunkt der Tat in einer Gemeinschaftsunterkunft in Anklam. Am Abend des 21. April 2001 wollte Mohamed Belhadj eigentlich einen Freund in einer Greifswalder Gemeinschaftsunterkunft besuchen. Der Wachdienst ließ ihn aber wegen der späten Uhrzeit nicht mehr ins Haus. Da auch keine Züge mehr nach Anklam fuhren, ging Mohamed Belhadj zu einer Tankstelle in der Nähe. Gegen 01:45 Uhr traf dort ein Auto mit vier jungen Männern ein. Sie waren zuvor auf einer Jugendweihefeier gewesen. Als es dort zu einem Streit kam, beschlossen sie, die Feier zu verlassen und fuhren – teils erheblich alkoholisiert – mit ihrem Auto planlos durch die Nacht.
Die Tat
Laut ihren späteren Angaben vor Gericht bemerkten sie Mohamed Belhadj an der Tankstelle und beschlossen ihn zu fragen, ob sie von ihm eine größere Menge Gras kaufen könnten. Ob dies wirklich der Fall war, oder die Geschichte erfunden wurde, um Mohamed Belhadj im Nachgang der Tat als Drogenhändler zu diskreditieren, kann das Gericht nicht klären. Hinweise darauf, dass Mohamed Belhadj oder Personen in seinem Umfeld in Drogengeschäfte involviert waren, gibt es keine. Den Einlassungen der Täter zufolge war Mohamed Belhadj einverstanden, die Drogen zu besorgen und stieg freiwillig zu ihnen ins Auto, um gemeinsam zu einer Unterkunft in Zemmin zu fahren.
Ab diesem Zeitpunkt gibt es außer den vier Tätern keine Zeug:innen für den weiteren Tatverlauf. Die vor Gericht diskutierten Tathandlungen sollen deshalb im Folgenden nicht detailliert erörtert werden. Erwiesen ist, dass Mohamed Belhadj von den vier Tätern über Stunden schwerst körperlich misshandelt wurde.
Sie fahren ein Stück, halten in einem Industriegebiet, zwingen ihn auszusteigen und schlagen ihn brutal zusammen. Zwei der Täter haben wohl hier schon Bedenken, Mohamed Belhadj laufen zu lassen, aus Angst vor Strafverfolgung. Erneut locken sie ihn ins Auto – angeblich um ihn nach Hause zu fahren – halten wenig später wieder an und schlagen erneut auf ihn ein. Sie planen, ihn bei Ladebow ins kalte Wasser zu werfen. Nur wegen der patrouillierenden Bundespolizei entscheiden sie sich um und fahren stattdessen zum Zarrenthiner Kiessee. Dort angekommen zerren die Täter Mohamed Belhadj aus dem Auto, schleifen seinen Körper bis zu einer Kante am Ufer des Sees und schubsen ihn den Abhang hinunter. Mohamed Belhadj bleibt an der Wasserkante liegen, wird jedoch von den vier Tätern aufgefordert ins Wasser zu gehen. Mit letzter Kraft wankt Mohamed Belhadj ein paar Meter ins Wasser hinein und sinkt dann auf die Knie. Daraufhin nimmt einer der Täter einen großen Stein und wirft ihn Mohamed Belhadj aus kurzer Entfernung gegen den Kopf. Dieser sackt zusammen und bleibt im kalten Wasser liegen. Dort stirbt Mohamed Belhadj Stunden nach dem die Täter geflohen sind an Unterkühlung und späterem Ertrinken. Obwohl das seichte Wasser ihm kaum bis zum Mund reichte, war er aufgrund der ihm zugefügten Verletzungen nicht mehr in der Lage, sich zu bewegen. Die Täter diskutierten auf dem Rückweg noch darüber, ob man Mohamed Belhadj noch helfen könne. Sie entschieden sich dagegen. Einer der Täter sagte zu den anderen im Auto, sie sollen sich nicht fertig machen: »Es war doch nur ein scheiß Ausländer.«
Die juristische Aufarbeitung
Nach mehreren Wochen Ermittlungen wurden am 24. Mai 2001 gegen den 18-jährigen Kai V., den 22-jährigen Roberto R., den 21-jährigen Christian F. sowie einen weiteren jungen Mann Haftbefehle wegen Mordes erlassen. Einer der vier Männer nahm sich noch vor Prozessbeginn in der Untersuchungshaft das Leben. In den vierzehn Verhandlungstagen am Landgericht Neubrandenburg zwischen November 2001 und März 2002 zeigten sich die Täter in weiten Teilen geständig, machten jedoch teilweise Erinnerungslücken aufgrund ihres Alkoholkonsums geltend. Das Gericht hielt die umfangreichen Einlassungen der Angeklagten für weitestgehend glaubwürdig. Der 18-jährige Haupttäter wurde nach dem Jugendstrafrecht wegen Mordes zu neun Jahren Haft verurteilt, weil ihm eine Beteiligung an einem Großteil der Gewalthandlungen sowie der Steinwurf nachgewiesen werden konnte. Die beiden 22 und 21 Jahre alten Mittäter beteiligten sich sich nach der Auffassung des Gerichts ebenso an den Misshandlungen und hätten durch ein Eingreifen nach der Tat den Tod von Mohamed Belhadj noch verhindern können. Gegen sie wurden Haftstrafen von acht beziehungsweise fünfeinhalb Jahren wegen Mordes durch Unterlassen ausgesprochen. Die Staatsanwaltschaft legte gegen diese beiden Schuldsprüche Berufung ein. In einem neu aufgerollten Verfahren wurden Roberto R. wegen Totschlag und gefährlicher Körperverletzung zu elf Jahren, Christian F. wegen Beihilfe zum Mord zu acht Jahren Haft verurteilt. Eine rassistische Motivation der Tat wurde in den Prozessen nicht diskutiert, obwohl die Einlassungen der Täter zu ihren Aussagen während der Tatbegehung dazu Anlass geboten hätten. Stattdessen glaubte das Gericht die Geschichte des geplatzten Drogendeals und den daraus folgenden Gewalthandlungen gegenüber Mohamed Belhadj, die durch den Mord verdeckt werden sollten.
Fehlende Anerkennung
Die Leiche von Mohamed Belhadj wurde seiner Familie in Algerien überführt. Es wurde ihnen wegen der schwerwiegenden Verletzungen empfohlen, den Sarg nicht zu öffnen. Sein Vater, Hamed Belhadj, sagte dazu: »Er wurde gelyncht, entstellt, man bringt ihn uns in einer Kiste zurück und ich kann nicht einmal ein letztes Mal sein Gesicht sehen. Unsere Kinder sterben im Ausland ohne irgendeinen Schutz«. Wenige Tage vor seinem Tod hätte Mohamed Belhadj noch mit seiner Schwester telefoniert und mit dem Gedanken gespielt, nach Algerien zurückzukehren. Für die gesamte Familie waren die Umstände des Todes schwer zu ertragen. Die Mutter und der jüngere Bruder von Mohamed Belhadj haben seinen Tod nicht überwinden können. Bis heute ist Mohamed Belhadj staatlich nicht als Todesopfer rechter Gewalt anerkannt – und gemeinsam mit der Missachtung der rassistischen Komponenten der Tat wird seinen Angehörigen so nicht nur das Zeichen eines ernsthaften Aufklärungswillens verweigert, sondern auch der Zugang zu Entschädigungsleistungen verwehrt.
Öffentlich erinnert wurde an Mohamed Belhadj erstmals 2019 von Aktivist:innen im Rahmen des »Wasted in Jarmen« Festivals, welches seit 2016 an dem selben Kiessee stattfindet, an dem Mohamed Belhadj ermordet wurde. Am 22. April 2020 gedachte die antirassistische Initiative Pro Bleiberecht erstmals der Tat.